Innovations- und exportstärkste Sektoren der deutschen Wirtschaft durch europäische MDR weiter unter Druck

Die deutsche Medizintechnik- und Medizinproduktebranche steht als einer der innovations- und exportstärksten Wirtschaftssektoren Deutschlands durch die Medical Device Regulation (MDR) unter erheblichem strukturellem Wandel und regulatorischem Druck. Eine aktuelle Analyse des WifOR-Instituts im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie dokumentiert die weitreichenden Auswirkungen der seit 2021 geltenden EU-Verordnung auf Unternehmen, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.

Wirtschaftliche Bedeutung und Branchenstruktur

Die deutsche Medizintechnik- und Medizinproduktebranche gehört zu den wirtschaftlich bedeutsamsten Sektoren der deutschen Volkswirtschaft. Sie erwirtschaftete 2024 eine direkte Bruttowertschöpfung von 19,7Milliarden Euro und beschäftigte rund 212.100 Personen. Mit einem Exportvolumen von 31,8 Milliarden Euro und einer Exportquote von 68 Prozent unterstreicht sie ihre internationale Bedeutung und Wettbewerbsfähigkeit.

Die Branche umfasst über 1.500 Unternehmen, von denen 93 Prozent kleine und mittlere Unternehmen sind. Der Gesamtumsatz erreichte 2024 41,4Milliarden Euro, was einem Wachstum von 2,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Diese Zahlen verdeutlichen die herausragende Rolle der Medizintechnik als Innovations- und Exportmotor der deutschen Wirtschaft.

Auswirkungen der Medical Device Regulation (MDR)

Regulatorische Verschärfung und Compliance-Herausforderungen

Die seit Mai 2021 vollständig geltende Medical Device Regulation (EU 2017/745) hat die Anforderungen an Produktzulassung, klinische Nachweise und Dokumentation massiv erhöht. Aktuelle Branchenerhebungen zeigen dramatische Auswirkungen auf die Unternehmen:

-        97 Prozent aller Unternehmen haben weiterhin erhebliche Probleme bei der MDR-Umsetzung

-        Über 70 Prozent der Unternehmen mussten bereits Produkte oder ganze Produktlinien vom Markt nehmen

-        Dokumentationskosten stiegen um 111 Prozent, Zertifizierungskosten um 124 Prozent

Kostenexplosion und wirtschaftliche Belastung

Die Gesamtkosten der Branche für die MDR-Umsetzung werden auf 7-12 Milliarden Euro geschätzt. Diese enormen Investitionen belasten insbesondere die Liquidität und Innovationsfähigkeit der Unternehmen. Die regulatorischen Anpassungen führen zu:

-       Verlängerten Zertifizierungsverfahren mit bis zu500.000 Euro Kosten pro Einzelzertifizierung

-       Verfahrensdauern, die sich bei 37 Prozent der Unternehmen verdreifacht haben

-       Zertifizierungskosten von 2-5 Prozent des Jahresumsatzes für kleine und mittlere Unternehmen

Besondere Belastung für KMU

Kleine und mittlere Unternehmen, die das Rückgrat der deutschen Medizintechnikbranche bilden, sind unverhältnismäßig stark von den MDR-Auswirkungen betroffen. 91 Prozent dieser Unternehmen nehmen Produkte aufgrund zu hoher Zertifizierungskosten vom Markt. Dies führt zu:

-        Reduzierter Produktvielfalt und weniger Speziallösungen für Nischenmärkte

-        Konzentration auf wenige, umsatzstarke Produkte

-        Verlagerung von Entwicklungsressourcen von Innovation zu Compliance

-        Potenziellem Marktaustritt kleinerer Anbieter

Innovation unter regulatorischem Druck

Trotz einer starken Innovationsleistung mit 1.487Patentanmeldungen 2024 und der Position als zweitstärkste europäische Medizintechnikbranche hemmen die regulatorischen Hürden die Innovationsdynamik erheblich. Besonders betroffen sind zukunftsweisende Technologiebereiche:

-        Künstliche Intelligenz in der Medizintechnik: Längere Marktzugangszeiten durch komplexe Algorithmus-Validierung

-        Robotik und Automatisierung: Erhöhte Anforderungen an Sicherheitsnachweise

-        Digitale Zwillinge und IoT-Lösungen: Neue Herausforderungen bei Cybersecurity und Datenintegrität

Viele Unternehmen stoppen oder verschieben Entwicklungsprojekte und Produktoptimierungen aufgrund der regulatorischen Unsicherheiten. Experten warnen, dass bis zu 30 Prozent aller Medizinprodukte langfristig vom Markt verschwinden könnten.

Internationale Wettbewerbsfähigkeit und Exportentwicklung

Die hohe Exportorientierung der deutschen Medizintechnikbranche mit Schwerpunkt auf den USA (19 Prozent) und China (8 Prozent) der Ausfuhren gerät durch die MDR-Implementierung unter Druck. Die verlängerten und kostenintensiven EU-Zulassungsverfahren führen zu:

-        Wettbewerbsnachteilen gegenüber außereuropäischen Herstellern

-        Möglichen Investitionsverlagerungen in regulatorisch einfachere Märkte

-        Verzögerungen bei der Markteinführung innovativer Produkte

Reformbestrebungen und Zukunftsaussichten

Das Europäische Parlament forderte bereits  im Oktober 2024 dringende MDR-Reformen. Die vorgeschlagenen Maßnahmen umfassen:

-        Fast-Track-Verfahren für innovative und bewährte Produkte

-        Spezielle Unterstützungsprogramme für KMU und Nischenprodukte

-        Transparente Zeitpläne und kalkulierbare Gebührenstrukturen

-        Reduktion unnötiger bürokratischer Anforderungen

-        Bestandsschutz für etablierte, sichere Medizinprodukte

Fazit

Die deutsche Medizintechnik- und Medizinproduktebranche befindet sich in einer kritischen Transformationsphase. Während die MDR wichtige Patientensicherheitsaspekte stärkt, drohen die unverhältnismäßigen regulatorischen Belastungen die Innovations- und Exportführerschaft Deutschlands in diesem strategisch wichtigen Sektor zu gefährden. Ohne pragmatische Anpassungen der Verordnung könnte Deutschland seine Position als führender Medizintechnikstandort mittelfristig verlieren.

Quelle: WifOR-Institut für Wirtschaftsforschung (2024): FORSCHUNGSBERICHT Medizintechnik- und Medizinproduktebranche in Deutschland im Zeichen der Medical Device Regulation. Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Verfügbar unter: https://www.bundeswirtschaf tsministerium.de/ Redaktion/DE/Publikationen/ Wirtschaft/gesundhe itswirtschaft-medizintechnik- medizinproduktebranche-im-zeichen-der-medical-device-regulation.html (Leerzeichen für Link entfernen)

Zusätzliche Quellen:

  • Bundesverband Medizintechnologie (BVMed): Zahlen und Fakten zur MDR
  • SPECTARIS  - Deutscher Industrieverband für optische, medizinische und mechatronische Technologien: Jahrbuch 2024/25
  • Industrie- und Handelskammer: Lage der Medizinprodukte-Hersteller 2025

Stand: August2025

 

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